Strafverfahren A bis Z
Im Strafverfahren wegen eines Sexualdelikts kann es schwierig sein, den Überblick zu behalten. Die Situation ist belastend. Viele neue Begriffe tauchen auf und mit ihnen neue Fragen. Im Folgenden finden Sie die wichtigsten Schlagwörter erklärt, die in einem Verfahren wegen eines Sexualdelikts eine Rolle spielen können.
Anklage: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage (= öffentliche Klage), wenn hinreichender Tatverdacht besteht, eine Verurteilung des Beschuldigten also wahrscheinlicher als ein Freispruch ist. Mit Einreichung der Anklageschrift bei Gericht geht das Ermittlungsverfahren ins Zwischenverfahren über.
Adhäsionsverfahren: Mittels Adhäsionsverfahren können der Verletzte einer Straftat oder sein Erbe zivilrechtliche Ansprüche gegen den Beschuldigten im Strafprozess geltend machen.
Aussagepsychologie: Die Aussagepsychologie untersucht die Glaubhaftigkeit einer Aussage.
Angeschuldigter: Nach Anklageerhebung wird der Beschuldigte zum Angeschuldigten.
Angeklagter: Nach Eröffnung des Hauptverfahrens wird der Angeschuldigte zum Angeklagten.
Amtsgericht: Beim Amtsgericht ist der Strafrichter unter anderem zuständig für Vergehen mit einer Straferwartung von bis zu zwei Jahren. Das Schöffengericht (Richter und zwei Schöffen) ist unter anderem zuständig bei Straftaten mit Straferwartung von bis zu vier Jahren.
Beschuldigter: Beschuldigter ist die Person, gegen die die Strafverfolgungsbehörden aufgrund eines Anfangsverdachts ein Ermittlungsverfahren führen.
Beschlagnahme: Beschlagnahme bedeutet die Sicherstellung von Gegenständen zu Beweiszwecken im Strafverfahren bei nicht freiwilliger Herausgabe.
Beweisantrag: Mittels Beweisantrag drückt ein Verfahrensbeteiligter sein Verlangen aus, über eine bestimmte Tatsache im Strafverfahren Beweis zu erheben.
Durchsuchung: Eine Durchsuchung im Strafverfahren dient der Auffindung von Beweismitteln oder Personen und kann sich auf den Körper des Beschuldigten, seine Räumlichkeiten (Hausdurchsuchung) oder auf weitere Räumlichkeiten beziehen.
Ermittlungsverfahren: Die Staatsanwaltschaft leitet bei Anfangsverdacht einer Straftat ein Ermittlungsverfahren (vorbereitendes Verfahren ein), um den jeweiligen Sachverhalt aufzuklären.
Einstellung: Eine Einstellung des Strafverfahrens ist eine Verfahrensbeendigung ohne Klärung der Schuldfrage. Die Einstellung erfolgt mangels hinreichendem Tatverdacht (§170 Abs. 2 StPO) oder aus Opportunitätsgründen (§§153 ff. StPO). Der Beschuldigte gilt nach der Einstellung weiterhin als unschuldig und ist nicht vorbestraft.
Erkennungsdienstliche Maßnahmen: Erkennungsdienstliche Maßnahmen haben die Erhebung von personenbezogenen oder biometrischen Daten des Betroffenen zum Ziel. Sie können zur Durchführung des Strafverfahrens oder präventiv erfolgen.
Falschaussage: Bei einer Falschaussage im Strafverfahren stimmt die Aussage des Zeugen bewusst oder irrtümlich nicht mit dem tatsächlichen Geschehen überein.
Gefährderansprache: Gefährderansprache oder Gefährderanschreiben sind polizeiliche Maßnahmen zur Prävention von Straftaten. Der Betroffene wird in einem konkreten Fall ermahnt, Verhalten zu unterlassen, dass bei weiterer Vornahme zu einer Straftat führen kann.
Haftprüfung und Haftbeschwerde: Beides sind Rechtsbehelfe gegen die Anordnung der Untersuchungshaft, mittels dessen der Beschuldigte die Aufhebung oder die Außervollzugsetzung gerichtlich überprüfen kann. Anders als bei der Haftprüfung steht bei der Haftbeschwerde eine mündliche Verhandlung nur im Ermessen des Gerichts. Bei der Haftbeschwerde gibt es außerdem einen Devolutiveffekt: Das heißt, dass das nächsthöhere Gericht entscheidet. Haftprüfung kann beliebig oft eingelegt werden und ist der schnellere Rechtsbehelf. Gegen dieselbe Haftentscheidung kann die Haftbeschwerde nur einmal eingelegt werden.
Hauptverfahren: Hauptverfahren beschreibt den Abschnitt des Strafverfahrens von Zulassung der Anklage bis zum Urteil. Kernstück des Hauptverfahrens ist die mündliche Hauptverhandlung.
Honorar: Das Honorar beschreibt die Vergütung des gewählten Anwalts. Es können zum Beispiel ein Pauschal- oder ein Zeithonorar vereinbart werden.
Instanz: Instanz bezeichnet einen Abschnitt im Strafverfahren. Bei welchem Gericht das Strafverfahren erstinstanzlich stattfindet, entscheidet über die Rechtsmittelinstanz (Berufung oder Revision).
Jugendstrafrecht: Jugendstrafrecht wird angewendet, wenn der Beschuldigte zur Tatzeit Jugendlicher war (14 bis 17 Jahre). Auf Heranwachsende (18 bis 20 Jahre) wird Jugendstrafrecht angewendet, wenn der Beschuldigte zur Tatzeit in seiner geistigen und sittlichen Entwicklung einem Jugendlichen gleichstand oder wenn es sich bei der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.
Kriminalpolizei: Die Kriminalpolizei ist regelmäßig für die Verfolgung schwererer Straftaten zuständig, z.B. Tötungs- und Sexualdelikte. Allerdings können in den Bundesländern verschiedene Regeln getroffen werden, weil Polizeirecht Ländersache ist.
Landgericht: Das Landgericht ist erstinstanzlich unter anderem zuständig für Straftaten mit einer Straferwartung von mehr als vier Jahren Freiheitsstrafe.
Molekulargenetische Untersuchung: Hinsichtlich des Beschuldigten darf eine DNA-Analyse zu Beweiszwecken im Strafverfahren angeordnet werden.
Nebenklage: Der Verletzte bestimmter Straftaten darf sich dem Strafverfahren als Nebenkläger anschließen (§395 StPO). Dies ist in fast allen Sexualstraftaten der Fall. Der Nebenkläger ist Verfahrensbeteiligter und hat besondere Rechte, etwa darf er Beweisanträge stellen.
Notwendige Verteidigung: Bei einer notwendigen Verteidigung muss sich der Beschuldigte durch einen Anwalt verteidigen lassen. Eine notwendige Verteidigung liegt nach den Voraussetzungen des §140 StPO vor, etwa wenn dem Angeklagten ein Verbrechen vorgeworfen wird oder die Verhandlung mindestens vor dem Schöffengericht stattfindet. Hat der Beschuldigte im Fall der notwendigen Verteidigung keinen Anwalt beauftragt (Wahlanwalt), wird ihm ein Pflichtverteidiger beigeordnet. Auch im Falle der Pflichtverteidigerbeiordnung darf der Beschuldigte seinen Anwalt auswählen.
Online-Durchsuchung: Bei der Online-Durchsuchung (§100b StPO) durchsuchen die Ermittlungsbehörden heimlich informationstechnische Systeme des Beschuldigten (z.B. Festplatte des Computers), um Beweise gegen ihn zu sammeln.
Psychosoziale Prozessbegleitung: Bei der psychosozialen Prozessbegleitung wird der Verletzte einer Straftat vor, während und nach der Hauptverhandlung betreut und unterstützt. Opfer bestimmter Sexualstraftaten haben Anspruch auf unentgeltliche Beiordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters.
Pflichtverteidiger: Im Falle der notwendigen Verteidigung hat der Beschuldigte, der noch keinen Verteidiger hat, Anspruch auf einen Pflichtverteidiger. Die Kosten des Pflichtverteidigers werden zunächst vom Staat übernommen und bei Verurteilung vom Verurteilten zurückgeholt.
Qualifikation: Eine Qualifikation bezeichnet einen Straftatbestand, der einen Grund-Straftatbestand um strafschärfende Faktoren erweitert: Beispiel: Die gefährliche Körperverletzung (§224 StGB) ist eine Qualifikation zur einfachen Körperverletzung (§223 StGB).
Quellen-Telekommunikationsüberwachung: Quellen-TKÜ bezeichnet eine Maßnahme der Strafverfolgungsbehörden, bei der Telekommunikation vor Verschlüsselung bzw. nach Entschlüsselung überwacht wird.
Rechtsmittel: Rechtsmittel im Strafrecht sind Berufung und Revision. Bei der Berufung handelt es sich um eine Tatsacheninstanz, in der der gesamte Fall samt Beweisaufnahme neu verhandelt wird. Revision ist eine Rechtsmittelinstanz, in der das Urteil auf Rechtsfehler überprüft wird.
Strafverfahren: Das Strafverfahren gliedert sich in der ersten Instanz in Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren. Anschließen kann sich das Rechtsmittelverfahren. Nach einer rechtskräftigen Verurteilung bildet das Vollstreckungsverfahren den letzten Abschnitt des Strafverfahrens.
Strafbefehl: Statt den Beschuldigten anzuklagen, kann die Staatsanwaltschaft beim zuständigen Gericht Antrag auf Erlass eines Strafbefehls stellen. Legt der Angeklagte gegen den erlassenen Strafbefehl nicht innerhalb von zwei Wochen Einspruch ein, hat der Strafbefehl die gleiche Wirkung wie ein rechtskräftiges Urteil: Der Betroffene ist vorbestraft.
Sachverständiger: Die Gutachteneinholung durch einen Sachverständigen ist ein Strengebeweismittel des Strafverfahrens, das für die Schuld- und Straffrage hinsichtlich des Beschuldigten herangezogen werden darf.
Sicherstellung: Sicherstellung bedeutet die Inverwahrungnahme von Gegenständen zu Beweiszwecken im Strafverfahren.
Schuldfähigkeit: Um wegen einer Straftat verurteilt werden zu können, muss der Angeklagte schuldfähig sein. Schuldfähig ist, wer in der Lage ist, das Unrecht der Tat einzusehen und entsprechend zu handeln. Kinder (= Personen unter 14 Jahren) und Personen, die die Voraussetzungen des §20 StGB erfüllen, sind nicht schuldfähig.
Täter-Opfer-Ausgleich: Beim Täter-Opfer-Ausgleich findet ein kommunikativer Prozess zwischen beiden Parteien mit dem Ziel der materiellen oder immateriellen Wiedergutmachung statt. Dies kann vorteilhaft für das Opfer (aktivere Mitbestimmung, Genugtuung, schnellere Gewährung von Schadensersatz etc.) und für den Täter (Verfahrenseinstellung, Strafmilderung etc.) sein.
Telefonüberwachung: Nach den Voraussetzungen von §100a StPO darf die Telekommunikation des Beschuldigten im Strafverfahren überwacht werden.
Untersuchungshaft: Untersuchungshaft ist eine Zwangsmaßnahme, die der Sicherung des Strafverfahrens dient und keinen Sanktionscharakter hat.
Verdacht: Im Strafrecht gibt es unterschiedliche Verdachtsgrade. Der Anfangsverdacht (=zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat) ist die Voraussetzung zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Hinreichender Tatverdacht (= Beweissituation, nach der eine spätere Verurteilung wahrscheinlicher als ein Freispruch ist) ist notwendig für Anklageerhebung. Dringender Tatverdacht (= hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung) ist erforderlich für die Anordnung von Untersuchungshaft.
Vollstreckung: Bei Erwachsenen vollstreckt die Staatsanwaltschaft die Strafe. Bei einer Geldstrafe wird die Zahlung eingefordert, bei einer Freiheitsstrafe muss der Verurteilte die Haft antreten. Dies gilt nicht, wenn die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Vernehmung: Der Vernehmende tritt der Auskunftsperson in amtlicher Eigenschaft gegenüber und verlangt in dieser Eigenschaft Auskunft von ihr.
Verletzter: Verletzter ist im Strafprozess derjenige, der durch die Tat, ihre Begehung unterstellt oder rechtskräftig festgestellt, in seinen Rechtsgütern unmittelbar beeinträchtigt worden ist oder unmittelbar einen Schaden erlitten hat (§373b StPO).
Wiederaufnahme: Unter bestimmten gesetzlich definierten Voraussetzungen kann ein Strafverfahren, das bereits durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossen ist, wiederaufgenommen werden – zugunsten oder zuungunsten des Verurteilten.
Zeuge: Der Zeuge ist ein Strengebeweismittel im Strafprozess, das für die Schuld- oder Straffrage hinsichtlich des Beschuldigten herangezogen werden darf.
Zeugnisverweigerungsrecht: Zeugen mit Zeugnisverweigerungsrecht dürfen im Strafprozess die Aussage vollumfänglich verweigern und zur Sache schweigen (z.B. Ehegatten oder Berufsgeheimnisträger wie Anwälte).
Zwischenverfahren: Das Zwischenverfahren bezeichnet den Abschnitt des Strafverfahrens ab Erhebung der Anklage bis zur gerichtlichen Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens.